Albert Jahn ist Leiter der Unternehmenskommunikation bei einem mittelständischen Unternehmen in Baden-Württemberg. Das Unternehmen ist Zulieferer für die Automobilindustrie und zwar ein sehr erfolgreicher.
Bei den meisten Unternehmen hätte Jahn auf seiner Visitenkarte eine englische Jobbezeichnung – „Head of Communications and Brand“ zum Beispiel. Aber in diesem Unternehmen ist man bodenständig und verweigert sich albernen englischen Berufsbezeichnungen. Eine Sekretärin ist hier noch einen Sekretärin und keine „Office-Managerin“. Der Geschäftsführer ist ein Geschäftsführer und kein „CEO“. Und Herr Jahn ist eben „Leiter der Unternehmenskommunikation“.
Herr Jahn legt Wert darauf, dass er nicht lediglich Pressesprecher ist – die Kollegen nennen ihn leider immer wieder so. Dabei hat er viel mehr Aufgaben, als nur die Presse zu betreuen. Zum Glück, denn Journalisten haben ohnehin kaum Interesse an dem Unternehmen.
Er leitet ein Team von vier Mitarbeitern und zusammen verantworten sie – neben der Pressearbeit – den Geschäftsbericht, das Kundenmagazin, das Internet, die interne Kommunikation und die allermeisten Drucksachen. Natürlich haben sie für all diese Aufgaben Agenturen, so dass die Aufgabe von Herrn Jahn vor allem im „Managen“ und in der „Qualitätssicherung“ liegt.
Herr Jahn hält sich selbst für einen recht ordentlichen Manager. Er hat viele Bücher zum Thema Führung und Unternehmensorganisation gelesen. Er will ein Leader sein und nicht einfach nur Aufgaben delegieren. Er arbeitet sehr strukturiert, wobei er immer noch überlegt, wie er noch effizienter arbeiten kann.
Früher hat er selbst viele PR-Texte geschrieben. Aber als er sich auf der Karriereleiter nach oben arbeitete, wurde ihm klar, dass hübsche Texte keine Lorbeeren bringen. Auf dem oberen Level ist schnelles Entscheiden gefragt und das Erfüllen von Zielvereinbarungen. Die Mitarbeiter müssen an die kurze Leine gelegt werden.
Texte lässt er jetzt andere Schreiben. Er hat aber einen genauen Blick dafür, wenn ihm jemand lieblos heruntergetipptes Zeilenfutter unterjubeln will. Er verlangt gut recherchierte und angenehm zu lesende Texte. Natürlich durften die Texte nicht kritisch sein, nicht einmal im Ansatz. Er pflegte zu sagen „Die Presse versucht zu polarisieren; wir dagegen wollen integrieren.“ Das fand er schlau.
In seiner Abteilung ist Jahn der Boss, darauf legt er Wert. Er weiß, dass er nicht beliebt ist. Weder bei seiner Sekretärin Frau Kimmich, noch bei seiner Stellvertreterin Frau Geisler. Der Onlineredakteur der Abteilung verachtet ihn, weil Jahn keine Ahnung von Content Management Systemen oder von User Experience hat, aber trotzdem immer reinquatscht, wenn es um den Webseitenaufbau geht. Auch der Volontär meint, er könne es alles besser. Aber das ist Albert Jahn betont egal. Er will nicht gemocht werden. Er will Respekt. Und zwar für sein entschlossenes Auftreten und seine professionelle Arbeit.
Niemand in der Abteilung würde offen gegen Jahn rebellieren. Man begnügt sich mit Lästereien. Das reicht, um Dampf abzulassen. Denn sie wissen, dass es ihnen hier allen gut geht. Man macht pünktlich Feierabend, das ausführliche Zeitunglesen am Morgen gehört zum Job. Außerdem kommen Einladungen für Medien-Events in Stuttgart, zu denen alle gern gehen, um die Gratisdrinks in sich hineinzugießen – sofern der Chef sein Kommen nicht ebenfalls angekündigt hat.
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